Rebläuse, Zeitzeugen und stille Pfade

 

„Guten Morgen, Frau Weber. Wir haben ein Paket für Sie. Sind Sie zwischen 10 und 12 h anzutreffen?“

Ja, bin ich. Hurra!

 

Geduldig warte ich, bis der Paketdienst vorfährt. Der Fahrer steigt aus, hievt ein sperriges Paket aus dem Laderaum. Er wird freudig von mir empfangen, das 13,3 kg schwere Paket entgegengenommen. Der Inhalt, ein Thule ClipOn High 9105, oder genauer ausgedrückt, ein Fahrradträger für die Heckklappe des PKWs, hergestellt und geliefert von der Firma Thule.

 

Anderorts in Österreich. Politische Gespräche erhitzen die Gemüter. Es wird politisiert, diskutiert und debattiert. In Gaststätten, in Büros, in den sozialen Netzwerken. Sogar in meinem Freundeskreis. Die Bundespräsidentenwahl steht bevor.

 

Zur gleichen Zeit in der Kapuzinergruft in Wien. Kaiser Franz Joseph dreht sich im Grabe rum, ist froh, das Amt des Staatsoberhauptes seit langem los zu sein.

 

Wir Österreicher, wir Europäer und ich als eine davon, leben in einer Zeit der offenen Grenzen. Ich kann mein Fahrrad am Clip On befestigen, ins Auto einsteigen, nach Tschechien, genauer nach Uhercice fahren, das Rad herunternehmen, mich draufsetzen und eine gemütliche Runde drehen, vorbei an Rabsfeldern, Apfelbäumen und kleinen Dörfern. Eine friedliche Idylle.

 

Genau diese friedliche Idylle färbt die Wahl des Ausflugszieles für die erste Radreise. Es geht ins Grenzgebiet, nach Drosendorf, in die Pension „Zur Hammerschmiede“. 2 Frauen, 2 Fahrräder, ein Ziel.

 

„Drosendorf hat alle Zutaten, die man zum Träumen braucht; viel Natur und ein bisschen Stadt, ein Schloss und einen Fluss, sonnige Wiesen und schattige Alleen, blühende Gärten und schroffe Felsen. Aber auch Gasthäuser mit schönen Terrassen, gediegene Unterkünfte und viele Ideen für die Zukunft.“ Im Informationspavillion am Stadtplatz liegt eine Broschüre auf. Ferien wie damals. Darin lese ich diesen Text.

 

Stille Pfade laden ein die Stadt zu umrunden und erkunden.

 

Wir probieren es aus. Flanieren die 1,7 km lange Stadtmauer entlang. Die Thaya schmiegt sich in die Landschaft, der Wind flüstert, Grillen zirpen in den Ritzen des alten Mauerwerks. Eine Idylle? Fast. Ein Schrei. Er durchdringt die Stille, zerbricht die Idylle.

 

Szenenwechsel. Der Gastgarten vor der Hammerschmiede, Menschen gesellen sich zusammen, essen und trinken. Meine Reisegefährtin Claudia und ich nehmen unter den schattigen Bäumen Platz, ordern bei Ludwig einen Backhendlsalat.

 

Ludwig und Manuela Schneider sind die Chief Executive Officers kurz CEOs, oder umgangssprachlich, die Wirte des traditionsreichen Familienbetriebs. Gelungenes Management steht bei den beiden an der Tagesordnung. Gastwirtschaft, Ackerbau, Waldwirtschaft, Weinbau und Familie will koordiniert sein.

 

Manuela kommt für eine Weile zur Ruhe. Nimmt bei uns Platz. Erzählt über die Stadt. Wir plaudern und lauschen. Der Schrecken über den Vogel, der das alte Mauerwerk aufgescheucht verlassen hat, um Claudia einen Schrei zu entlocken, ist lange schon vergessen.

 

Alarmzustand aufgehoben. Keine Gefahr in Sicht. Entwarnung. Der Blick auf die vollständig erhaltene Stadtmauer von Drosendorf ist frei. Ehemaliger Befestigungswall. Steinerne Grenze.

 

Grenzen. Sie können nicht nur trennen, sie können auch schützen.

 

In Drosendorf zum Beispiel hielten die Stadtmauern stand. 1278 wurden sie dem böhmischen König Ottokar II zum Verhängnis. Er konnte Drosendorf nicht einnehmen. Der Befestigungswall schützte die Stadt. Nahrung und Wasser halfen den Bewohnern auszuharren.

 

Drosendorf erinnert an damals. An historische Zeiten. An längst vergessene Gefahren. An den Schutz vor Feinden und den Schutz von Nationalität, Identität und Lebensraum.

 

Hier und heute. Eine offene Grenze, Demokratie, ein friedlicher Nachmittag in einer gemütlichen Gastwirtschaft. Ich lande wieder in der Gegenwart, zurückgeholt durch den verführerischen Duft des hausgemachten Topfenstrudels.

 

Wir Frauen lassen den Tag Revue passieren. Ich schreibe einige Details über die Reblaus RadTour zusammen.

 

In der Freizeitkarte Waldviertler sind zahlreiche Radwege eingezeichnet. Unsere Wahl fällt auf den Reblaus Radl Weg, der zwischen Drosendorf und Retz verläuft. 45 km radelten wir durch das Gelände, umgeben von sattem Grün, vorbei an unterschiedlichen Landschaftsformen. Der gut ausgebaute und überwiegend asphaltierte Weg ist eine Freude für die Pedale. Wir begegnen Feldhasen, Rebhühnern, Oldtimern und Genussradlern. Im Fischerparadies Hessendorf pausieren wir und fragen nach dem Weg, die übrige Zeit begleitet uns eine gute Beschilderung. Dem Wanderwegs 630 folgend, nähern wir uns Retz. Die ersten Weingärten tauchen im Blickfeld auf. Kräuter und Heckenrosen erfüllen die Luft mit ihrem Duft. Eine Freude für die Augen, Ohren und die Nase. Es geht bergab. Das erfreut auch meine müden Wadeln. Das Wahrzeichen von Retz, die Windmühle, überragt die Stadt. Auch hier ein kurzer Halt. Touristen, Selfies und Bummelzug bei der Windmühle. Mich zieht es zum Soldatenfriedhof. Er liegt wenige Meter entfernt, eingebettet in die sanfte Hügellandschaft.

 

Das Bild abseits der Menschenmassen. Heckenrosen. Birken. Gräber. Stille und Andacht. Ein Stück Geschichte. Steinerne Zeitzeugen.

 

Ich denke an den Global Peace Index. Er ist der Versuch eines internationalen Gremiums, die Friedfertigkeit verschiedener Nationen darzustellen. Österreich liegt auf dem dritten Platz. Ein hoffnungsvolles Zeichen? Kaiser Franz Joseph steckt skeptisch seinen Kopf aus der Kaisergruft.

 

Die Uhr tickt. Die Abfahrt des Reblaus-Express rückt näher. Wir schnappen die Radeln, treten in die Pedale. Endspurt. Zurück in die Zivilisation. Nach dem Verlassen des gemächlichen Radweges erwarten uns in Retz Orientierungsschwierigkeiten. Ratlosigkeit. Trick 17 hilft. Nach dem Weg fragen. Eine Einheimische weist uns sogleich den Weg zum Bahnhof.

 

Geschafft. Bei Kaiserwetter verladen wir die Fahrräder und nehmen Platz in der nostalgischen Bahn, die uns zurück nach Drosendorf bringt. Wir probieren Schmankerl und Trankerl und tauschen Pedale gegen Diesellok. Es rollt und rüttelt.

 

In der Hammerschmiede. Manuela und Ludwig wenden sich wieder dem Geschäft zu. Wir Ausflügler befestigen die Fahrräder am Clip on und treten die Heimreise an. Die Drosendorfer wahren ihre idyllischen Pfade. Die Stadtmauer erinnert an vergangene Epochen und Kaiser Franzl gesellt sich zu seiner Elisabeth und genießt die monarchische Ruhe.

 

Infos und Anmerkungen:

 

Der Gasthof „Zur Hammerschmiede“ in Drosendorf ist ein guter Ausgangspunkt für Rad- und Ausflugstouren. Es stehen 14 Zimmer zur Verfügung. In der Speisekarte finden sich zahlreiche Waldviertler Schmankerl.

 

Der Reblaus-Express fährt Samstag, Sonntag und Feiertag zwischen Drosendorf und Retz. Der Fahrradtransport ist gratis. Ein Heurigenwagen sorgt für Erfrischung und Stärkung.

 

Ein Fahrradheckträger von Thule kann die perfekte Lösung für bis zu 3 Fahrräder am Heck des Fahrzeugs sein – besonders wenn das Fahrzeug keine Anhängekupplung hat.